„Help each other grow!“
Ein Pillow Talk von Paula.
Spätestens seit dem Lockdown hat der Selfcare-Hype auch die Letzten erreicht. Selfcare war quasi das Traveln der Pandemie-Zeit: Yoga. Meditieren. Mindfulness. Me-Time. Alles getreu dem Motto „Focus on yourself“. Ich frage mich manchmal, ob unsere Generation nicht ohnehin schon selbstzentriert genug denkt und vor lauter Selfcare das Füreinander etwas kurz kommt…
„Imagine the person you’d become if you stopped trying to fix others and put all that energy into yourself.” Eines von vielen Zitaten, das mir unter dem Hashtag Selfcare angezeigt wird und mich zum Nachdenken gebracht hat. Wer wäre ich, wenn ich all die Zeit, in der ich mir Probleme meiner Freund*innen anhöre, meine Familie mit kleinen Aufmerksamkeiten überrasche oder Bekannten einen Gefallen tue, für mich selbst nutzen würde? Ich wäre seltener übermüdet, hätte vielleicht nicht ständig das Gefühl, nicht hinterherzukommen und hätte mehr Zeit, auf meine eigenen Ziele hinzuarbeiten. Klingt erst einmal verlockend. Doch schon während ich mir das vorstelle, bekomme ich Gewissensbisse: Ich wäre „selfish“ (egoistisch), oder nicht?
Natürlich geht es bei dem ganzen Selfcare-Trend nicht darum, dass wir uns gar nicht mehr um andere kümmern sollen. Der Leitsatz „Selfcare isn’t selfish“ soll unter anderem hervorheben, dass nur wer im Reinen mit sich selbst ist, Anderen mit positiver Energie begegnen und besser helfen kann. Selfcare ist wichtig – keine Frage! Würde ich kein Yoga mehr machen, würde ich meinen Mitmenschen wahrscheinlich mit deeeutlich weniger Empathie und Verständnis begegnen. Jede*r soll sich bitte Zeit nehmen, um sich etwas Gutes zu tun und sich dabei nicht schlecht fühlen müssen.
Meine Kritik am Selfcare-Hype ist, dass wir für mehr Me-Time nicht die Zeit kürzen sollten, in der wir etwas für Andere tun. Meiner Meinung nach vergisst die ganze „Focus on yourself“-Bewegung wie gut es sich anfühlt, Anderen zu helfen. Indirekt ist das also auch Selfcare. Was aber nichts mit Selfcare zu tun hat, ist ein ständiges höher, weiter, schneller. Und genau dort sollten wir zurücktreten und laut schreien „Betrifft mich nicht – I focus on myself. Ich brauche mich nicht ständig zu vergleichen, um mir selbst etwas wert zu sein.“ Ursprünglich sollte Selfcare dem dauerhaften Leistungsdruck und Ansprüche-Erfüllen-Müssen entgegenwirken. Mein Insta-Feed differenziert hier allerdings nicht und zählt auch Etwas-für-Andere-tun zu lästigen Alltagsaufgaben, die uns von unseren eigentlichen Zielen abhalten. Und da bin ich anderer Meinung.
„Prioritize the love you have for yourself”. Ein weiterer dieser “I-come-first“-Sätze, diesmal aus dem Feminismus-Einsteigerbuch „Women Don’t Owe You Pretty“, in dem die Autorin Florence Given klarstellt, dass es nicht Aufgabe der Frau ist, dem männlichen Teil der Gesellschaft ein möglichst angenehmes Leben zu bereiten. Unter anderem kritisiert sie, dass Frau einen Großteil ihrer Zeit damit verbringt, sich mit den Problemen ihres Partners auseinanderzusetzen, während Mann all seine Zeit in sich selbst investiert und deswegen im Leben weiterkommt. Ich stimme ihr absolut zu, dass Selbstaufopferung für den Partner keine Option ist. Allerdings kann es doch nicht die Lösung sein, dass wir aufhören, das vorzuleben, was wir uns eigentlich sehnlichst von unserem Partner wünschen – nur weil ihm die emotionalen Skills dazu fehlen. Florence Given betont „You are not his mum. You are not his therapist. You do not owe anyone that energy. You owe that shit to yourself.” In meiner Vorstellung gehört zu einer gesunden Beziehung, Carework für den anderen dazu. Wenn der Andere diese Form der Unterstützung (noch) nicht zurückgeben kann, ist es leider doppelte Arbeit, ihm (oder auch ihr) das beizubringen. Bis zu einem gewissen Punkt nehme ich diesen Aufwand jedoch gerne in Kauf, um nicht mit der Vorstellung schlafen zu gehen, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen werden, in der jede*r nur noch an sich selbst denkt.
Ist es nicht schön, dass wir hin und wieder unseren eigenen Shit gegen die Problemchen Anderer austauschen können? Statt mich in meinen eigenen Stress hineinzusteigen, beruhige ich manchmal lieber meine Freundin, die sich Druck wegen der anstehenden Prüfungen macht. Und dafür kann ich in anderen Momenten guten Gewissens all meinen Shit bei ihr abladen, die dann mit zwei Sätzen wegwischt, worüber ich mir tagelang Gedanken gemacht hätte. Natürlich auch hier bis zu einer gewissen Grenze. Man darf natürlich auch mal sagen „Nein jetzt gerade kann ich dir nicht helfen.“ Mir geht es hier um die allgemeine Bereitschaft, füreinander da zu sein und einander zu helfen.
Es ist genug Wasser da, um alle Blumen zu gießen. Wenn wir ALLE auch die Blumen des Nachbarn gießen, müssen die Pflanzen derjenigen, die ihr Wasser teilen, nicht leiden – weil sie auch vom Nachbarn gegossen werden. In anderen Worten: Wenn wir ALLE ein Verantwortungsbewusstsein füreinander hätten, dann würde niemand, der*die sich um andere kümmert, zu kurz kommen.
Manchmal taucht in meinem Feed auch eine Illustration auf mit zwei Menschen, deren Köpfe Blumen sind und die sich gegenseitig gießen. Darunter steht „Help each other grow“. Ein viel schöneres Motto als „Focus on yourself“…findet ihr nicht?

